H. Krabbendam: Saving the Overlooked Continent

Cover
Titel
Saving the Overlooked Continent. American Protestant Missions in Western Europe


Autor(en)
Krabbendam, Hans
Erschienen
Leuven 2020: Leuven University Press
Anzahl Seiten
297 S.
von
Andreas Heuser

Das Bild ist bekannt: wer in europäischen Grossstädten unterwegs ist, trifft das eine oder andere Mal auf adrett gekleidete, meist junge Männer, die als «missionaries» einiger US-amerikanischer Religionsgemeinschaften und Kirchen unterwegs sind. Es sind nicht allein Repräsentanten der «Zeugen Jehovas» oder auch der Mormonen, der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, die sich mit regelmässigen sogenannten «missionarischen Kurzzeitaufenthalten» den Religionslandschaften Europas aussetzen. Vor allem aber hinterlässt die evangelikale Bewegung die wahrscheinlich nachhaltigste Injektion amerikanischer Religionskultur in Europa. Über Jahrzehnte hinweg schärft sie um ihren Protagonisten Billy Graham ein missionarisches Selbstverständnis, in dem das Europa der Nachkriegsära als härteste Herausforderung konturiert wird. Doch gerät Europa in dem sich formierenden Kalten Krieg in das Prisma des nordamerikanischen Protestantismus insgesamt. Eine vielfach offen zu Tage tretende antikommunistische Signatur wie auch die Notwenigkeit, die europäischen Kirchen angesichts der Auswirkungen des Faschismus zu rekonstituieren, prägen die amerikanischprotestantische Entdeckung des europäischen Missionsfeldes. Besonders die anhaltende Rede von einer kommunistischen Gefahr reichert sich durch konfrontative Wahrnehmungen eines europäischen Religionsverfalls und dem Durchbruch von Säkularisierungstrends an, so dass sich breitere nordamerikanische Missionsmilieus von Beginn an durch einen Politisierungsmarker auszeichnen. Dies wird drastische Konsequenzen für die ebenfalls in der Nachkriegsära sich festigende ökumenische Bewegung haben.
Es ist das grosse Verdienst des vorliegenden Bandes, sich erstmals in detaillierter Form der missionarischen Präsenz aus dem Bereich des US-amerikanischen Protestantismus in Westeuropa zu widmen. Bei «Saving the Overlooked Continent» handelt sich um eine Langzeitstudie, die primär die Nachkriegsentwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre analysiert. Doch gelingt es dem Verfasser, diese Kernphase, die in etwa bis zur Gründung der Lausanner Bewegung (1974) reicht, historisch auszudehnen und damit einzubetten in längere missionsgeschichtliche Dynamiken. Die Europaexpansion der amerikanischen Missionsbewegung bedeutet tatsächlich eine missionshistorische Wende. Seit dem 19. Jahrhundert folgten europäische Missionare den zunehmenden Immigrationsflüssen nach Nordamerika. In der Nachkriegszeit kehrt sich die Missionsrichtung um. Die nordamerikanische Missionsbewegung hatte sich zwar insbesondere in den Jahren, die dem amerikanischen Bürgerkrieg der 1860er Jahre folgten, der Afrika- und Asienmission verschrieben; erstmals jedoch bilden die transatlantischen Bezüge nach Europa nach dem Zweiten Weltkrieg das Kernelement nordamerikanischer Missionsgeschichte. Die protestantische amerikanische Missionspräsenz in Europa bedeutet die erste Variante der «reverse mission» (eines vieldiskutierten Konzepts, das derzeit in Bezug auf die Präsenz von afrikanischen Migrationskirchen in Europa gemünzt wird). Wenngleich die Studie das weite Spektrum amerikanisch-protestantischer Mission in Europa in Augenschein nimmt, so liegt ihr Fokus eindeutig auf der Herausbildung des sogenannten «New Evangelicalism». Zu dessen Kennzeichen gehört das Bestreben nach transnationaler Ausdehnung, die in massiver Weise durch eine Kampagnenkultur mobilisiert wird, die ihrerseits das «Schlachtfeld Europa» zu besetzen trachtet.
Der Erzählfaden um die «Rettung Europas» entspinnt sich anhand einer Gliederung nach Dekaden. Die erste Phase in den 1940er Jahren ist charakterisiert durch materielle und finanzielle Nothilfeprogramme. Amerikanische Dollar stehen hinter dem Wiederaufbau zerstörter Kirchen, der Versorgung von Flüchtlingen in neuen Sozialstationen oder auch der Unterstützung von verarmten und entwurzelten Familien. In den 1950er Jahren erfolgt der Auf- und Ausbau von neuen religiösen Netzwerkstrukturen. Diese kommen einer institutionellen Innovation im Bereich des New Evangelicalism gleich, der damit zugleich reagiert auf die Gründung des für zu liberal empfundenen Ökumenischen Rats der Kirchen (1948). Instrumental für diese Neuorientierung ist das Wirken Billy Grahams, der als medienaffiner Evangelist wie als internationaler Organisator von Kampagnen in Erscheinung tritt. Bemerkenswert ist, dass just in dieser Phase, in der die nordamerikanische evangelikale Missionsbewegung Europa als ein prägnantes Missionsfeld identifiziert, die europäische Missionsbewegung sich gleichsam neu erfinden muss – sie begreift sich zunehmend als Teil der ökumenischen Welt der Kirchen. Dieser Umdeutungsprozess wird mit dem sogenannten «ChinaSchock», der Ausweisung aller westlichen Missionsgesellschaften aus dem revolutionären China um 1950 unumkehrbar eingeleitet. Die Eingliederung der historischen Missionsbewegung in die Ökumene findet ihren organisatorischen Abschluss 1961, als sich der Internationale Missionsrat dem ÖRK anschliesst. In den 1960er Jahren bilden evangelikale Strömungen eine konfrontative Strategie gegen die ökumenische Bewegung aus, der sie vorwirft, die Kohärenz des europäischen Christentums zu unterlaufen.
Die Politisierung der evangelikalen Missionsbewegung findet ihren Höhepunkt mit der Gründung der Lausanner Bewegung (1974). Damit endet die Rahmenerzählung der Studie. Im Ausblick stellt sie fest, dass sich erst sehr viel später, vielleicht um 2000 herum die Strategie der Konfrontation verändert. Die antagonistische Haltung findet allmählich zu Wegen der Kooperation mit der ökumenischen Bewegung.
Die Studie beleuchtet somit die erhebliche missionarische Dynamik des nordamerikanischen Evangelikalismus. Diese wird erhellt durch immer wieder changierende missionarische Agenden, sich anpassende organisatorische Strukturen der Missionstätigkeit oder auch neuem theologischen Vokabular, das zur Bezeichnung europäischer Religionsentwicklungen ausgetauscht wird. Diese Prozesse lassen den Schluss zu, dass sich die transatlantischen Begegnungsräume über den Zeitraum einiger Jahrzehnte der Nachkriegszeit verdichtet haben. Nicht mehr kommt das Folgekapitel der Transnationalisierung des nordamerikanischen Protestantismus zur Sprache, das die gegenwärtige Umwandlung globaler Religionslandkarten anbetrifft. Nur am Rande erwähnt wird also die enorme Dynamisierung, die von der globalen Pfingstbewegung ausgeht und die in erheblichem Ausmass von dem nordamerikanischen Tele-Evangelismus und protestantisch geprägten Megakirchen beeinflusst wird.

Zitierweise:
Heuser, Andreas: Rezension zu: Krabbendam, Hans: Saving the Overlooked Continent: American Protestant Missions in Western Europe, Leuven 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 115, 2021, S. 463-465. Online: <https://doi.org/10.24894/2673-3641.00100>

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Weitere Informationen
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit